14.09.2021

Online-Fachveranstaltung „Aus der Corona-Pandemie lernen – Sicherung von Teilhabe und Inklusion pandemiefest gestalten"

In der Fachveranstaltung am 14. September 2021 diskutierten rund 130 Teilnehmende aus den Bereichen Rehabilitation, Gesundheit, Bildung, Politik sowie aus Fach- und Betroffenenverbänden, wie Teilhabe und Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderungen gesichert werden können. Grundlage der Diskussion waren die Ergebnisse des Konsultationsprozesses „Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Zeiten der Corona-Pandemie“ und die daraus abgeleiteten Handlungsoptionen. Ziel der vorgeschlagenen Handlungsoptionen ist es, die Teilhabe am Arbeits­­leben, an der Erziehung und der Bildung sowie die Gesundheitsversorgung pandemiefest auszurichten. Im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und des Disability Mainstreaming sollen vorausschauende Vorkehrungen getroffen und die erforderlichen Dienste und Einrichtungen weiterentwickelt werden.

Dr. Annette Tabbara vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) unterstrich in ihrer Begrüßung, dass die Pandemie-Resilienz wachsen und Menschen mit Behinderungen geschützt werden müssten. Der Abschlussbericht zum Corona-Konsultationsprozess sei ein wichtiges und inhaltlich reiches Dokument, das auch in der nächsten Legislaturperiode zu Rate gezogen werden solle. Unter großem Zeitdruck seien in der Pandemie wichtige Gesetze und Regelungen im Sinne der Teilhabe auf den Weg gebracht worden. Das Sozialdienstleistereinsatzgesetz schütze soziale Leistungserbringer und somit die soziale Infrastruktur für Rehabilitation und Teilhabe.

Der DVfR-Vorsitzende Dr. Matthias Schmidt-Ohlemann gab einen Überblick über Ergebnisse des Konsultationsprozesses. Diese zeigten u. a., dass Reha-Dienste und -Einrichtungen Spielräume bei der Umsetzung von Pandemieregelungen brauchen, um Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, chronischen Krankheiten und Pflegebedürftigkeit, auch bei dem gebotenen Infektionsschutz, so weit wie möglich zu erhalten. Der DVfR-Vorsitzende stellte unter Berücksichtigung der aus dem Konsultationsprozess abgeleiteten Handlungsbedarfe verschiedene Lösungsmöglichkeiten vor.

Die Situation und den Handlungsbedarf in der medizinischen Rehabilitation erläuterte Prof. Dr. Bernhard Greitemann, Ärztlicher Direktor der Klinik Münsterland am Reha-Klinikum Bad Rothenfelde. Durch die Corona-Pandemie seien v. a. die ambulanten Reha-Angebote rückläufig und die Heil- und Hilfsmittelversorgung nicht immer gewährleistet gewesen. Die Belegung und somit die Einkünfte der Reha-Einrichtungen seien zurückgegangen, bei gleichzeitig wachsendem Finanz- und Personalbedarf durch neue Konzepte für Hygiene, Aufnahme, Therapie, Besuche oder Mit­arbeiterschutz. Basierend auf diesen Pandemiefolgen formulierte Prof. Dr. Bernhard Greitemann Forderungen an Bund und Länder.

Für den Bereich Arbeit und berufliche Rehabilitation skizzierte Walter Krug, Gesamtleiter des Berufsbildungswerks St. Franziskus Abensberg, die Folgen der Pandemie und die Forderungen für mehr Pandemie-Resilienz. Für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten (WfbM), in der Ausbildung in Berufsbildungswerken oder in Unternehmen seien durch Schließungen oft nicht nur Einkünfte, sondern auch soziale Kontakte und Tagesstruktur entfallen. Die Situation sei außerdem von uneinheitlichen oder gar widersprüchlichen Schutzvorschriften geprägt gewesen. Für Einrichtungen seien Notbetreuung, Alternativangebote, Schutzkonzepte zur Vermei­dung von Schließungen, eine entsprechende finanzielle Ausstattung sowie die Einbeziehung von Schwerbehindertenvertretungen und Betriebsräten notwendig. In Unternehmen zeigte sich, dass Homeoffice oder mobiles Arbeiten eine pandemiegerechte Lösung sein könne.

Wie die Teilhabe und Inklusion an Bildung und Erziehung pandemiefest zu gestalten ist, erörterte Dr. Angela Ehlers, Bundesvorsitzende des Verbands Sonderpädagogik. Grundlegend ist entspre­chend der UN-BRK ein Recht auf inklusive Bildung für Kinder und Jugendliche an allen Bildungs­orten. Bei den Handlungsoptionen betonte Dr. Angela Ehlers, dass digitaler Unterricht weiter­entwickelt, der Digitalpakt praxisnäher gestaltet sowie notwendige Schulungen und technische Voraussetzungen organisiert werden müssten. In einer Pandemiesituation seien u. a. Betreuung und Hausbesuche durch die Lehrkräfte, eine gesicherte Notfallbetreuung und Lernräume in Bildungseinrichtungen wichtig. Wichtige Impulse für notwendige Schritte gebe der Pakt für Inklusion.

Die soziale Situation von Menschen mit Behinderungen während der Pandemie beleuchtete Andreas Rieß, Geschäftsführer der Josefs-Gesellschaft Köln. Er benannte die Ausgrenzung bei der sozialen Teilhabe, den Wegfall von Assistenz und Besuchsmöglichkeiten, die Schließungen von Reha-Einrichtungen und die unzureichende Notbetreuung als Belastungsfaktoren.

Dr. Heidrun Mollenkopf von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen konstatierte, dass die Situation auch seitens der Angehörigen von Menschen mit Behinderungen und chronisch kranken oder pflegebedürftigen Menschen als sehr herausfordernd empfunden wurde, und stellte entlastende Maßnahmen vor.

In fast allen Bereichen des Lebens wird die Digitalisierung wichtiger – in der Pandemie erhielt sie durch Homeschooling und Homeoffice einen zusätzlichen Entwicklungsschub. Dr. Susanne Gebauer, Berufsförderungswerk Nürnberg, zeigte auf, dass einerseits mangelnde IT-Barrierefreiheit sowie unzureichende IT-Fortbildung und -Unterstützung Menschen mit Behinderungen dabei vor besondere Probleme stellten. Neue assistive Technologien und Apps, wie etwa im Projekt KI.ASSIST, böten andererseits Chancen für Menschen mit Beeinträchtigungen.

Andreas Bethke, Geschäftsführer des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands, skizzierte, wie sich in Pandemiezeiten das Verhältnis von Selbstbestimmung und Fürsorge im Spannungsfeld zwischen Gesundheitsschutz und Freiheitsrechten gestaltete. Bei der Planung von Hygieneschutzmaßnahmen und der Impfpriorisierung müssten inklusive Settings mit bedacht werden. Informationen seien kaum in barrierefreier und niederschwelliger Form vorgelegen, sodass Menschen mit Behinderungen wichtige Hinweise für ihre Selbstfürsorge in dieser Zeit fehlten.

An der abschließenden Podiumsdiskussion „Systemaspekte und Fazit“, moderiert von Dr. Rolf Buschmann-Steinhage, DVfR, nahmen Katja Kohfeld, Bundesministerium für Gesundheit – BMG, Dr. Britta Schlegel, Deutsches Institut für Menschenrechte, Dr. Annette Tabbara, BMAS, und der Reha-Rechtsexperte Prof. Dr. Felix Welti, Universität Kassel, teil.

Dr. Schmidt-Ohlemann betonte zum Abschluss, Teilhabe müsse in einer Krisensituation auch von professioneller Seite angemahnt und eingeplant werden – dies dürfe nicht nur den betroffenen Menschen überlassen werden. In der Aufarbeitung und in zukünftigen Krisenplänen sollte es eine Beteiligung aller wichtigen Professionen und der Betroffenen geben. Der weitere Diskurs und das weitere Vorgehen sei in der neuen Legislaturperiode zu klären – etwa die Frage, ob es eine Enquete-Kommission oder eine spezielle Einrichtung geben soll, die Teilhabesicherung und Gesundheitsschutz gleichrangig in Krisen sicherstellt.

Dokumentation

Programm der Fachtagung vom 14.09.2021
„Aus der Corona-Pandemie lernen – Sicherung von Teilhabe und Inklusion pandemiefest gestalten"

Vorträge

 

Informationen zum Konsultationsprozess „Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Zeiten der Corona-Pandemie“ finden Sie unter den Projektberichten.