Medizinische Zentren für Erwachsene mit Behinderungen bundesweit noch immer ungleich verteilt
Am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Lübeck, wird gerade das erste Medizinische Zentrum für Erwachsene mit Behinderungen (MZEB) in Schleswig-Holstein eingerichtet. Bundesweit gibt es über 50 aktive Zentren für Erwachsene mit schwerer Mehrfachbehinderung und intellektueller Beeinträchtigung. Deren Verteilung variiert deutlich: Während Bundesländer wie Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen vergleichsweise gut aufgestellt sind, existiert im Saarland noch gar kein MZEB, in einigen Bundesländern gibt es bislang nur ein solches Angebot.
Das kann bedeuten, dass eine Person, die in Flensburg wohnt, fast 2,5 Stunden unterwegs ist, um das nächste MZEB in Lübeck zu erreichen – wenn dieses denn erst einmal eröffnet ist. Das wollte die aktuelle Bundesregierung eigentlich ändern. Im Koalitionsvertrag 2021–2025 wird u. a. angekündigt: „Die Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen sowie die Sozialpädiatrischen Zentren bauen wir in allen Bundesländern aus“ (S. 85). Die gesetzlichen Grundlagen für die MZEB wurden mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz im Jahr 2015 geschaffen.
Patientinnen und Patienten mit intellektuellen Beeinträchtigungen oder schwerer Mehrfachbehinderung benötigen wegen ihrer besonderen Bedarfe eine auf sie zugeschnittene Ergänzung zur ambulanten Regelversorgung. Für eine umfassende Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen sorgen die "Sozialpädiatrischen Zentren". Aber deren Beteuung endet mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres. Im Land Schleswig-Holstein bietet das MZEB in Lübeck nun als erste Einrichtung ein Folgeangebot ab der Volljährigkeit. Bei vielen Betroffenen lägen seltene oder genetische Krankheiten zugrunde, die erst durch moderne Diagnostik erkannt werden könnten, erklärt das UKSH. Das Team des MZEB möchte den besonderen Bedürfnissen mit einem multidisziplinären Ansatz, Erfahrung und ausreichend Zeit entgegenkommen. „Am Campus Lübeck betreuen wir nicht nur im Zentrum für Seltene Erkrankungen und in den Spezialsprechstunden der neurologischen Klinik viele Patientinnen und Patienten mit Behinderungen mit einem hohen Bedarf an multi- und interprofessioneller Versorgung. Diesen nur in Teilen gedeckten Bedarf vor Augen, war es unser Ziel, diesen Menschen mit dem MZEB ein auf sie optimiertes ambulantes medizinisches Versorgungs-angebot zu machen“, sagte Prof. Tobias Bäumer als einer der Leiter des Zentrums.
Langwierige Verfahren und widersprüchliche Vorgaben
Mit einem Blick auf die bundesweite Verteilung der MZEB gab es in den vergangenen Jahren mehrfach Kritik an einer ungleichen und damit eben nicht bedarfsgerechten Verteilung der Zentren. Dabei scheint auch das aufwendige Antragsverfahren eine Rolle zu spielen. „Die Angaben schwanken zwischen 3 und 17 Monaten bis zur Erteilung einer Ermächtigung. Unvollständige Antragsunterlagen und Widerspruchsverfahren verlängerten die Verfahren, heißt es“ (Ärzteblatt, 2020). Auf eine auffällige Ungleichverteilung und die Notwendigkeit, den Ausbau der Zentren voranzutreiben, wiesen auch Prof. Dr. Michael Seidel, ehem. Ärztlicher Direktor des Stiftungsbereichs Bethel.regional, v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel, Bielefeld, und Kollegen in einem Beitrag für das Westfälische Ärzteblatt (05/2020) hin. Der schleppende Ausbau der MZEB-Landschaft in Deutschland widerspreche grob dem Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention, der unter anderem verlange, dass Menschen mit Behinderungen diejenigen Dienstleistungen erhalten müssen, die sie speziell wegen ihrer Behinderung benötigen. Neben verschieden ablaufenden und oft schwierigen Verfahren in den Zulassungsausschüssen erwiesen sich oft die Krankenkassen als Hemmschuh der Entwicklung: „In den vergangenen Jahren hat es wiederholt Beschwerden über Krankenkassen gegeben, namentlich im Hinblick auf ihr einseitig im Jahre 2016 formuliertes Eckpunktepapier, das an einigen Stellen der Intention des Gesetzgebers offenkundig zuwiderläuft.“ Zu dem Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, die MZEB weiter auszubauen, haben die Autoren Prof. Michael Seidel, Dr. Matthias Schmidt-Ohlemann und die Autorin Dr. Maria del Pilar Andrino 2022 ein Diskussionspapier vorgelegt, wesentliche Problemlagen analysiert und konkrete Vorschläge und Hinweise festgehalten, die bei dem beabsichtigten Ausbau aus ihrer Sicht beachtet werden sollten.
Im Jahr 2023 setzte die BAG SELBSTHILFE das Forderungspapier: „Handlungsbedarfe bei MZEB (Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen)" auf und griff die Kritik erneut auf: Die Krankenkassen sollten das im Juni 2016 verfasste Eckpunktepapier zurückziehen, „da viele der dort aufgestellten Positionen offensichtlich im Widerspruch zu den gesetzlichen Regelungen des SGB V stehen.“ Zudem appellierte der Verband an das Bundesministerium für Gesundheit, verlässliche Daten zu den MZEB erheben, um so den bedarfsgerechten Ausbau und die Weiterentwicklung der MZEB zu begleiten. Weitere konkrete Forderungen beziehen sich auf den Zugang zu den MZEB für Patientinnen und Patienten, Zulassungsverfahren, Vergütungsverhandlungen oder Leistungsvereinbarungen.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft MZEB e.V. ist eine Interessenvertretung für Behandlungszentren und deren Träger. Nur Institutionen, die ein MZEB betreiben oder planen, können Mitglieder werden. Die digitale MZEB-Suche der BAG MZEB bringt aktuell 80 Ergebnisse, davon sind nach Angaben der BAG MZEB rund 50 Zentren aktiv tätig. Im September 2025 veranstaltet die BAG MZEB den 5. Kongress der medizinischen Zentren für Erwachsene mit Behinderungen in Leipzig, um Vernetzung und fachlichen Austausch zu fördern.
Die Leiter des Zentrums am UKSH, Campus Lübeck, erwarten nach Etablierung des Angebots in den kommenden Jahren bis zu 800 Patientinnen und Patienten pro Quartal.
Zur Pressemitteilung des UKSH (27.08.2024)
MZEB-Suche auf der Website der BAG MZEB
MZEB – Erfordernisse und Herausforderungen für die weitere Entwicklung
Zum Forderungspapier der BAG SELBSTHILFE
(Quellen: Ärzteblatt, BAG SELBSTHILFE, BAG MZEB, Springer Medizin Verlag, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Westfälisches Ärzteblatt)