Paradigmenwechsel Umbruch – Wandel – Veränderung
Wie verändert die Nutzung der ICF unser Denken und Handeln in der Frühförderung?
10.11.2023
Online
Vorträge
Wie verändert die Nutzung der ICF unser Denken und Handeln in der Frühförderung?
Prof. Dr. phil. Liane Simon
Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit wurde von der Weltgesundheitsorganisation entwickelt, um eine neue Sicht auf Behinderung zu ermöglichen und Gesundheit umfassender zu betrachten. Der Begriff Funktionsfähigkeit (im englischen „functioning“) spielt dabei eine zentrale Rolle, auch wenn er in der deutschen Übersetzung für viele recht sperrig und technisch wirkt. Funktionsfähigkeit ist ein Überbegriff, der die Betrachtung von Körperfunktionen und -strukturen eines Menschen in Beziehung zum Kontext, der Lebenswelt und den personenbezogenen Faktoren setzt. So können Partizipationsmöglichkeiten in den Blick genommen werden. Voraussetzungen für die Betrachtung der Funktionsfähigkeit eines Kindes in der Frühförderung sind interdisziplinäre Zusammenarbeit und Personenzentriertheit. Was das bedeutet und warum die Nutzung der ICF zu teilweise tiefgreifenden Veränderungen im Denken und Handeln von Fachkräften führen kann, soll in diesem Vortrag dargelegt werden.
Diagnose Sprachentwicklungsstörung bei Mehrsprachigkeit: Brauchen wir monolinguale Kinder, um bilinguale Kinder einschätzen zu können?
Prof. Dr. Wiebke Scharff Rethfeldt
Kulturell divers und mehrsprachig aufwachsende Kinder in Deutschland sind ungleich höher von sprachdiagnostischen Fehlentscheidungen betroffen als einsprachige Kinder. Neben verschiedenen Zugangsbarrieren zur Gesundheitsversorgung tragen eine unzureichende Berücksichtigung der Einflussfaktoren des Mehrspracherwerbs und der damit verbundene Einsatz ungeeigneter diagnostischer Methoden und Instrumente wesentlich zu Fehldiagnosen bei. Nachhaltige Fehlentscheidungen über Förder- oder Therapieangebote sind die Folge. Das auf etablierten wissenschaftlichen Theorien und Erkenntnissen überwiegend zum Spracherwerb monolingualer Kinder der Mittelschicht entwickelte sprachtherapeutische Vorgehen kann den Anspruch auf eine valide Identifikation einer potenziellen Sprachentwicklungsstörung nicht mehr gewährleisten, weil heutige Spracherwerbssituationen vielschichtiger und komplizierter sind. Die hiermit verbundenen Einflussfaktoren erfordern ein entsprechendes methodisch vielschichtiges, kultursensitives Vorgehen. Der Vortrag regt zu einer Neuausrichtung der Sprachentwicklungsdiagnostik an, welche zunächst einer kritischen Auseinandersetzung mit dem alten Sprachnorm-Paradigma und Reflexion der unzulässigen Vereinfachung bedarf.
Wir planen eine Stunde für Ihr individuelles Pausenprogramm, in dem ausreichend Zeit für einen Pausensnack, ein kleines Bewegungsprogramm oder auch einen Power-Nap sein soll.
Vater sein heute – Arrangements zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Prof. Dr. Luise Behringer
Medienberichte und Veröffentlichungen über Väter und Vaterschaft haben aktuell Hochkonjunktur. Sie decken sich in der Aussage, dass Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten. Aktuelle Daten stützen diese Aussage, denn zunehmend mehr Väter gehen in Elternzeit und sind stärker in die Pflege und Betreuung ihrer Kinder eingebunden. Familien sind vielfältiger und Elternschaft ist intensiver geworden ist eine Aussage des 9. Familienberichts. Auch das legt nahe, dass Eltern unterschiedliche Modelle familiärer Arbeitsteilung etablieren und Väter im Alltag mehr Verantwortung für ihre Kinder übernehmen.
Welche Arrangements entwickeln Familien und wie sieht aktive Vaterschaft aus? Welche Bedeutung haben Väter für ihre Kinder und in ihren Familien? Und wie verhält es sich, wenn ein Kind mit Behinderung geboren wird? Das sind Fragen, mit denen sich der Vortrag befasst.
Vielfalt neu denken – Autismus-Spektrum und Neurodiversitätsforschung
Prof. Dr. André Zimpel
Grob geschätzt leben in Deutschland mehr als vier Millionen Menschen mit ADHS und circa eine Millionen Menschen mit Diagnosen (bzw. fehlenden Diagnosen) im Autismus-Spektrum. Neurodiversität bezeichnet die Vielfalt menschlicher Nervensysteme, unter denen es wie bei Schneeflocken niemals zwei sich völlig gleichende Exemplare gibt.
Im Neurodiversitäts-Spektrum gibt es auch Menschen, die anders denken, fühlen und handeln, als üblicherweise erwartet wird. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass diese nicht vollkommen richtig im Kopf wären. Ausgehend von den Grundlagen der Neurodiversitätsforschung soll am Beispiel des Autismus-Spektrums gezeigt werden, welche Möglichkeiten für die pädagogische Praxis aus diesem Ansatz abgeleitet werden können.
Wir leben in einer Zeit, in der computergestützte Kommunikation, Eye-Tracking und Neurofeedback zunehmend Teil unseres Alltags werden. Diese Technologien können dazu beitragen, dass Menschen mit unterschiedlichen neurologischen Besonderheiten besser am gesellschaftlichen Leben teilhaben können und einen individualisierten Zugang zur Bildung erhalten.
Dabei spielt die Spielförderung eine entscheidende Rolle. Wir sollten uns bewusst sein, dass jedes Kind einzigartig ist und individuelle Bedürfnisse hat. Indem wir die Vielfalt menschlicher Nervensysteme wertschätzen und uns darauf einstellen, können wir unseren Kindern eine optimale Förderung bieten.
Resümee und Abschluss
Ende: 15:30 Uhr
Referent*innen:
Prof. Dr. phil. Liane Simon: Diplompädagogin, Sonderpädagogin, Systemische Therapeutin, MSH – Medical School Hamburg
Prof. Dr. Wiebke Scharff Rethfeldt: Professorin für Logopädie, Logopädin, Vice President International Association of Communication Sciences and Disorders (IALP), Hochschule Bremen – City University of Applied Sciences
Prof. Dr. Luise Behringer: Professorin für Psychologie in der Sozialen Arbeit UPK, Katholische Stiftungshochschule Benediktbeuren
Prof. Dr. André Zimpel: Diplompsychologe, Psychotherapeut (HPG), Sonder- und Diplompädagoge (mit den Fächern: Mathematik und Kunst), Universität Hamburg
Arbeitsstelle Frühförderung Bayern e. V. (affby)