30.08.2021

„Mehr als ein Job“ – Kampagne zugunsten von Werkstätten für behinderte Menschen

Ohne die Werkstätten fielen zahlreiche soziale Kontakte und Teilhabe am Arbeitsleben für die dort Tätigen weg, so die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM). Diese Werkstätten sind u. a. aufgrund der geringen Bezahlung und dem seltenen Übergang der Beschäftigten zum ersten Arbeitsmarkt in die Kritik geraten. Die BAG WfbM setzt dem nun die Kampagne „Mehr als ein Job“ entgegen. Sie plädiert auch für Reformen sowie ein besseres Entgelt.

Martin Berg, der Vorstandsvorsitzende der BAG WfbM sagt: „Leider kursieren immer noch Klischees über die Werkstattarbeit. Unsere Kampagne soll helfen, Vorurteile abzubauen. Wir wollen objektiv informieren und aufklären, gleichzeitig aber auch klarmachen, dass wir das System an zentralen Stellen reformieren wollen.“

Kampagne und Aktionstag der BAG WfbM

Die Kampagne „Mehr als ein Job“ hat eine eigene Website; dort kommen Expertinnen und Experten aus Verbänden, Politik und Wirtschaft in Interviews zu Wort. Die Website beantwortet häufig gestellte Fragen rund um Arbeit und Arbeitsbedingungen in WfbM. Darüber hinaus stellt sie Vorlagen für Postings mit Motiven aus Werkstätten für die sozialen Medien zum Download bereit.

Bildmotiv der Kampagne "Mehr als ein Job"     Bildmotiv der Kampagne "Mehr als ein Job"

Die Kampagne macht auch auf den bundesweiten Aktionstag „Schichtwechsel“ aufmerksam: Menschen mit und ohne Behinderungen tauschen am 16. September ihren Arbeitsplatz und ermöglichen so einen Perspektivwechsel.

Werkstätten für behinderte Menschen - Teilhabe am Arbeitsleben

Die Arbeit in den knapp 700 deutschen Werkstätten steht unter dem Anspruch: lernen, gefordert und gefördert werden, so die BAG WfbM. Menschen mit Behinderungen haben dort einen sicheren, unkündbaren Arbeitsplatz. Darüber hinaus leisten Werkstätten „auch pädagogische, therapeutische und pflegerische Unterstützung, um Menschen mit Behinderungen ganzheitlich in die Gesellschaft einzugliedern. Dort erhalten sie berufliche Bildung und können soziale Beziehungen pflegen. Neben individuell auf sie abgestimmter Arbeit bekommen sie Unterstützung und Wertschätzung. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt es für die meisten von ihnen keinen gleichwertigen Platz, denn in seiner jetzigen Form ist der Arbeitsmarkt nicht in der Lage, alle Menschen mit Behinderungen aufzunehmen,“ so Martin Berg. Deshalb seien Werkstätten weiterhin notwendig, um Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Es gebe in Deutschland keinen Zwang und keine Pflicht, die Menschen mit Behinderungen in einer Werkstatt unterbringt.

In Werkstätten für behinderte Menschen stehe der Mensch im Fokus und weniger seine Arbeitsleistung, erläutert die Bundesarbeitsgemeinschaft. Beschäftigte können aus diversen Arbeitsangeboten die für sie passende Wahl treffen und sich vielfältig ausprobieren. Über den Berufsbildungsbereich können sie unterschiedliche Qualifizierungen erlangen. Begleitende Maßnahmen während der Arbeitszeit dienen der Persönlichkeitsentwicklung sowie der Gesundheitsförderung und der sozialen Eingliederung; sie umfassen zum Beispiel Angebote aus dem Kultur- und Sportbereich.

Reformen im Bereich WfbM und beim Zugang zum Arbeitsmarkt

Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist die Monitoring-Stelle für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und steht den WfbM kritisch gegenüber: „300 000 Menschen arbeiten in Deutschland in Werkstätten für behinderte Menschen. Sie erhalten für ihre Arbeit nur ein Taschengeld. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben sie kaum Chancen. Solange das so ist, kann von einer Verwirklichung des Rechts auf Arbeit und Beschäftigung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention nicht die Rede sein.“

Zentralen Reformbedarf sieht auch die BAG WfbM beim Arbeitsentgelt – auch wenn die dort Tätigen nicht mit den Arbeitnehmenden im allgemeinen Arbeitsmarkt vergleichbar seien. Über Privilegien wie Grundsicherung und Rente haben sie deutlich mehr Geld zur Verfügung als häufig in Diskussionen dargestellt. Berg unterstreicht: „Wir setzen uns für eine Reformierung des Entgeltsystems ein, bei der gewissenhaft und umsichtig gehandelt sowie mit den Werkstattbeschäftigten gesprochen wird – und nicht über sie.“ Es soll ein auskömmliches, transparentes und nachhaltiges Entgeltsystem im Sinne der Menschen in den Werkstätten erarbeitet werden. Dabei müsse das sehr komplexe System in seiner Gesamtheit betrachtet werden. Sonst bestehe die Gefahr, dass Menschen in Werkstätten zum Beispiel mit Einführung des Mindestlohns insgesamt schlechter gestellt werden.

Die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderungen habe sich in den Jahren seit Inkrafttreten der UN-BRK in Deutschland verbessert, schreibt das Deutsche Institut für Menschenrechte. Auch die Zahl der Unternehmen, bei denen Menschen mit Behinderungen arbeiten, wachse. Dennoch beschäftigen immer noch knapp 40 000 Unternehmen keine Person mit Behinderungen. Auch die übrigen Arbeitsmarktzahlen zeigten, dass Menschen mit Behinderungen immer noch einen auffallend schlechteren Zugang zum Arbeitsmarkt haben als nichtbehinderte Menschen. So sei ihre Erwerbsquote weiterhin deutlich geringer und ihre Arbeitslosenquote ebenso wie der Anteil der Langzeitarbeitslosen deutlich höher. Der Weg zu einem inklusiven Arbeitsmarkt erscheint noch sehr lang.

Weitere Informationen

(Quellen: Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen, BAG WfbM; Deutsches Institut für Menschenrechte)