20.07.2021

Liga Selbstvertretung erstellt zehn Gebote für Behindertenpolitik

Anlässlich der im September 2021 anstehenden Bundestagswahl hat die Liga Selbstvertretung zehn Gebote für eine „zukunftsfähige Behindertenpolitik“ formuliert. Die Gebote orientieren sich an der UN-Behindertenrechtskonvention und an ihnen müsse sich die zukünftige Politik messen lassen, betont die Liga-Sprecherin Dr. Sigrid Arnade.

Die Gebote decken nahezu das gesamte Spektrum der Behindertenpolitik ab, so die Liga. Es gehe um die Pflicht zur digitalen und sonstigen Barrierefreiheit, auch für private Angebote von Waren und Dienstleistungen und in der Kommunikation, um die freie Wahl von Wohnort und Wohnform, um eine Psychiatrie ohne Zwang, um Gewaltschutzstrategien und unabhängige Beschwerdestellen, um Inklusion in Bildung, Arbeitsmarkt und Gesundheitswesen sowie um die Stärkung von Selbstvertretungsorganisationen und verbesserte Partizipationsmöglichkeiten.

Die zehn Gebote der Liga Selbstvertretung

  1. Behindertenpolitik, die keine Menschenrechtspolitik ist, ist keine Behindertenpolitik.
  2. Das Menschenrecht auf Inklusion durch eine freie Wahl des Wohnorts und der Wohnform mit der entsprechenden Unterstützung wird gewährleistet und nicht aus Kostengründen eingeschränkt. Die erforderliche Unterstützung für die Teilhabe an allen Lebensbereichen wird als echter Nachteilsausgleich einkommens- und vermögensunabhängig erbracht.
  3. Private Anbieterinnen und Anbieter von Waren und Dienstleistungen werden zu Barrierefreiheit und angemessenen Vorkehrungen verpflichtet.
  4. Digitalisierung wird barrierefrei umgesetzt. Digitale Teilhabe wird für alle Menschen möglich gemacht.
  5. Gebärdensprachdolmetschung, Untertitelung, Audiodeskription und Leichte Sprache werden in allen Bereichen der Kommunikation und der Medien selbstverständlich umgesetzt.
  6. In psychiatrischen Zusammenhängen werden Zwangsmaßnahmen und Zwangsmedikation unterbunden und durch Alternativen ersetzt.
  7. Gewaltschutzstrategien und unabhängige Beschwerdestellen werden erarbeitet und eingerichtet, um vulnerable Gruppen wie behinderte Mädchen und Frauen effektiv zu schützen.
  8. Das Menschenrecht auf inklusive Bildung, orientiert an qualitativen Maßstäben, wird umgesetzt, unterstützt durch einen Masterplan, der in einem partizipativen Prozess von Bund, Ländern und Selbstvertretungen erarbeitet wird.
  9. Für einen inklusiven Arbeitsmarkt und ein inklusives Gesundheitswesen werden Masterpläne mit den relevanten Akteurinnen und Akteuren und Selbstvertretungen entwickelt und umgesetzt.
  10. Selbstvertretungsorganisationen werden organisatorisch und finanziell unterstützt, um die Regierungsarbeit auf Bundes- und Länderebene kritisch zu begleiten. Entscheidungen, die unter Nichtbeachtung zuvor festgelegter Partizipationsstandards zustande kommen, sind nichtig.

Was ist die Liga Selbstvertretung

Die Liga Selbstvertretung ist ein Zusammenschluss von 13 bundesweit tätigen Selbstvertretungsorganisationen, die von behinderten Menschen selbst verwaltet, geführt und gelenkt werden. Selbstvertretung in Bezug auf Behinderung ist in Deutschland ein neues, wenig kanntes Konzept. Den Selbstvertretungsorganisationen hierzulande entsprechen im englischen Sprachgebrauch die Disabled Persons‘ Organizations (DPO). Die Liga Selbstvertretung engagiert sich für Teilhabe und Inklusion und erstellt u.a. Stellungnahmen zu behindertenpolitischen Fragen und Gesetzgebungsvorhaben.

In Deutschland sind eher Selbsthilfeorganisationen bekannt – sie arbeiten meistens diagnosebezogen mit einem medizinischen Verständnis von Behinderung. Selbstvertretungsorganisationen dagegen wirken meist beeinträchtigungsübergreifend und sind einem menschenrechtlichen Modell von Behinderung verpflichtet.

(Quelle: Liga Selbstvertretung – DPO Deutschland, c/o Netzwerk Artikel 3 e.V.)