29.08.2022

Kabinett bringt Regelungen zur Triage auf den Weg

Das Kabinett hat am 24. August 2022 den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen, mit dem die sogenannte „Triage“ geregelt werden soll. Menschen mit Behinderungen sollen so bei der Zuteilung knapper, überlebenswichtiger, intensivmedizinischer Ressourcen vor einer Benachteiligung geschützt sein. Die Reaktionen auf den Beschluss sind so vielfältig wie die vorausgegangene Debatte.

Der nun vom Kabinett beschlossene Gesetzentwurf formuliert, dass „Kriterien, die sich auf die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit nicht auswirken, wie insbesondere eine Behinderung, das Alter, die verbleibende mittel- oder langfristige Lebenserwartung, der Grad der Gebrechlichkeit und die Lebensqualität" bei der Beurteilung der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit nicht berücksichtigt werden dürfen, wenn es um die Zuteilung von knappen überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten geht.  Dabei wird die Triage-Situation konkret auf eine "übertragbare Krankheit" bezogen, nicht z. B. auf Situationen nach einem Unfall oder einer anderen möglichen Ursache für knappe Ressourcen. Zuteilungsentscheidungen müssen nach dem Gesetzentwurf im Rahmen eines Mehraugenprinzips getroffen werden. Dabei ist die Einschätzung einer Person mit besonderer Fachexpertise zu berücksichtigen, wenn eine Patientin oder ein Patient mit einer Behinderung oder Komorbidität von der Zuteilungsentscheidung betroffen ist. Der Entwurf verbietet zudem die umstrittene Ex-post-Triage: Ausdrücklich ausgeschlossen wird der Abbruch einer noch erfolgsversprechenden Behandlung zugunsten einer anderen Person mit einer höheren Überlebens­wahrscheinlichkeit.

Noch im Mai kursierte ein Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), in dem für den Fall pandemiebedingt nicht ausreichend vorhandener überlebenswichtiger intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten eine Entscheidung über den Abbruch einer intensivmedizinischen Behandlung vorgesehen war. Später hatte sich Bundesgesundheits­minister Karl Lauterbach (SPD) davon distanziert. Am 14. Juni 2022 legte die Bundesregierung einen Referentenentwurf vor, zu dem zahlreiche Institutionen und Verbände Stellung genommen haben.

Vorausgegangen war ein Beschluss des Bundesverfassungs­gerichts (BVerfG) vom 16. Dezember 2021 (Az 1 BvR 1541/20), der den Gesetzgeber dazu aufforderte, geeignete Vorkehrungen zu treffen, damit niemand wegen einer Behinderung bei der Zuteilung knapper, aber überlebenswichtiger Behandlungsressourcen benachteiligt werde.

Kontroverse Resonanz

Der Berichterstatter für Menschen mit Behinderungen Hubertus Hüppe (CDU) erklärte zum aktuellen Kabinettsbeschluss, es sei die Absicht der Regierung zu erkennen, die Triage-Entscheidung des BVerfG nur im „kleinstmöglichen Maßstab“ umzusetzen. Eine echte Beteiligung von Menschen mit Behinderung sieht er nicht. Hüppe kritisierte auch, dass weder Meldepflichten noch Kontrollen durchgeführter Triagen vorgesehen seien. Außerdem gebe es keine Sanktionen, sollten Vorgaben wie das Mehraugenprinzip oder die Facharzterfordernis verletzt werden. „Der schmalspurige Gesetzentwurf missachtet die Weisung des Bundesverfassungsgerichts, einen wirksamen gesetzlichen Diskriminierungsschutz für Menschen mit Behinderungen bei Triage zu schaffen“, urteilte er. Sigrid Arnade vom Vorstand des NETZWERK ARTIKEL 3 bedauert u. a., dass viele Hinweise aus den Stellungnahmen und der mündlichen Anhörung nur marginal umgesetzt worden seien. Auch die DVfR hatte eine Stellungnahme abgegeben. Die Bundesärztekammer (BÄK) hingegen kritisiert den kategorischen Ausschluss der Ex-post-Triage. Ein Verfahren „ohne jegliche Berücksichtigung der Erfolgsaussichten“ bewertet die BÄK als falsch.

Der Gesetzentwurf soll nach dem parlamentarischen Verfahren noch in diesem Jahr vom Bundestag beschlossen werden.

Zur Pressemitteilung des BMG

Zu den Stellungnahmen auf der Website des BMG

Zur Stellungnahme der DVfR zum Gesetzentwurf des BMG vom 2. Juni 2022

(Quellen: Bundesministeriums für Gesundheit, Deutsches Ärzteblatt, kobinet-Nachrichten, NETZWERK ARTIKEL 3)