06.06.2023

Fehlanreize bei der außerklinischen Intensivpflege?

Zwei Verbände haben im Mai 2023 einen offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gesendet. Sie befürchten, dass das Gesetz zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz – GKV-IPReG) durch die neuen gesetzlichen Regelungen zur außerklinischen Intensivversorgung auch zu Fehlanreizen führen kann.

Der GKV-IPReG ThinkTank, ein Zusammenschluss von Menschen mit Intensivpflegebedarf, Angehörigen sowie Personen aus Selbsthilfe, Medizin, Wissenschaft, Medizintechnik, Pflege und Therapie, und die Deutsche Interdisziplinäre Gesellschaft für Außerklinische Beatmung (DIGAB) kritisieren: Die u. g. Ziele des GKV-IPReG könnten zu Lasten der betroffenen Versicherten und der Versichertengemeinschaft ins Gegenteil verkehrt werden:

  • Rechtssicherheit für die von außerklinischer Intensivpflege (AKI) betroffenen Versicherten zur Gewährleistung einer AKI zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Rahmen des SGB V;
  • Beseitigung von Fehlanreizen durch nicht hinterfragtes Festhalten an künstlicher Beatmung und Trachealkanüle;
  • Beseitigung von Abrechnungsbetrug bei der Erbringung von Leistungen in der AKI u. a. durch Einsatz von nicht qualifiziertem Personal;
  • klare und transparente untergesetzliche Regelungen für die Umsetzung des GKV-IPReG mit Sicherung eines Qualitätsstandards in der ärztlichen und pflegerischen Betreuung von Versicherten mit Anspruch auf AKI.

Besonders besorgniserregend seien Verträge zwischen Kliniken und gesetzlichen Krankenversicherungen, in denen Prämien im Falle einer erfolgreichen Beatmungsentwöhnung und „Kopfgelder“ für die Zuweiser versprochen würden. Hiermit werde dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet, so die beiden Verbände. Auch Menschen ohne Entwöhnungspotenzial könnten aufgrund der finanziellen Anreize zu Entwöhnungsversuchen in Kliniken eingewiesen werden.

Der GKV-IPReG ThinkTank hat sich zum Ziel gesetzt, den laufenden bundesweiten Diskurs über das GKV-IPReG fachlich, ethisch und politisch zu begleiten und die Ausgestaltung des Gesetzes zu prüfen. Der Fokus liege auf den Bedürfnissen von Menschen, die eine außerklinische Versorgung, insbesondere außerklinische Intensivpflege benötigen, sowie auf den Bedürfnissen von deren An- und Zugehörigen.

Mit der Kampagne: „Leben mit außerklinischer Intensivpflege ist vielfältig“, möchte der GKV-IPReG ThinkTank bundesweit darauf aufmerksam machen, dass Menschen, die außerklinische Intensivpflege benötigen, Individuen und Mitmenschen sind. Sie möchte den gängigen Vorurteilen und Stereotypen über ein Leben mit Intensivpflege entgegentreten, sowie Betroffene und ihre An- und Zugehörigen dabei unterstützen, ihr Wunsch- und Wahlrecht des Versorgungsortes zu erhalten.

Weitere Verbände warnen vor Versorgungsproblemen

Derzeit fürchten noch weitere Verbände wie das Kindernetzwerk kna um die Versorgungssicherheit bei der Umsetzung der AKI-Richtlinie. Für die vor einer AKI-Verordnung verpflichtende Überprüfung des Entwöhnungspotenzials bei beatmeten Kindern und Jugendlichen seien die ambulanten Strukturen bundesweit noch nicht flächendeckend vorhanden. Auf die Versorgungsstrukturen für intensivpflegebedürftige Patienten kämen bei gleichzeitig hohem Fachkräftemangel wesentliche Änderungen zu. Das kna warnt außerdem, dass die besondere Versorgungslage bei Kindern nur unzureichend berücksichtigt sei. Auch der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (bvkm) sowie die Fachverbände für Menschen mit Behinderung fürchten um die Versorgung von Menschen mit Beatmung (Pressemitteilung, 7. Juni 2023).

Hintergrund

Das GKV-IPReG wurde im Juli 2020 verabschiedet und im März 2022 trat die zugehörige Richtlinie für außerklinische Intensivpflege (AKI-RL) in Kraft. Der Art. 2 GKV-IPReG soll ab dem 31. Oktober 2023 in Kraft treten. Hierdurch würde ab diesem Tag der Anspruch der betroffenen Versicherten auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Absatz 2 Satz 1 SGB V entfallen und durch den Anspruch auf AKI nach § 37c SGB V ersetzt werden. Nach den Regelungen der AKI-RL, die den Anspruch nach § 37c SGB V näher bestimmt, dürfte die AKI für beatmete und trachealkanülierte Versicherte ab diesem Zeitpunkt nur noch durch bestimmte Fachärzte verordnet werden.

Weitere Informationen bietet www.cody.care/gkv-ipreg-thinktank.
 

(Quelle: GKV-IPReG ThinkTank; Kindernetzwerk e. V., kna; Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen, bvkm)