18.11.2020

Betroffenenverbände fordern verbesserte Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Viele Rehabilitations- und Selbsthilfeverbände nahmen Stellung zum geplanten neuen Vormundschafts- und Betreuungsrecht. Einige wenden sich mit ihren Verbesserungsvorschlägen auch an die Öffentlichkeit. So begrüßt die Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. grundsätzlich die Reformvorschläge des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), denn der Gesetzgeber möchte weg von der Bevormundung hin zu mehr Selbstbestimmung betreuter Menschen. Genau hier sieht die Lebenshilfe aber noch Verbesserungsbedarf und startete eine Kampagne.

Die Lebenshilfe argumentiert, dass die Reform nicht weit genug gehe und den ursprünglichen Paradigmenwechsel – weg von der Bevormundung hin zur rechtlichen Unterstützung – noch nicht konsequent umsetze. So leide etwa das Betreuungssystem weiterhin unter finanziellen und zeitlichen Nöten, zumal neue Aufgaben auf die Betreuenden zukämen. Die Bundesvorsitzende der Lebenshilfe Ulla Schmidt sieht in der Gesetzesvorlage des Justizministeriums eine verpasste Chance. In einer Pressemitteilung vom 22. September sagt sie: „Es ist nicht der erhoffte große Wurf. Wir begrüßen zwar, dass Menschen mit Behinderung im Vorfeld beteiligt waren und Ministerin Lambrecht sich mehr Selbstbestimmung zum Ziel gesetzt hat. Aber das reicht nicht. Der Gesetzgeber muss die Rechte der betreuten Personen noch umfassender stärken, damit der ursprüngliche Paradigmenwechsel – weg von der Bevormundung hin zur rechtlichen Unterstützung – konsequent umgesetzt wird. Hierfür müssen auch die notwendigen finanziellen und zeitlichen Ressourcen bereitgestellt werden.“

Lebenshilfe Kampagne "BetreuungsRechtsReform - aber richtig!"

Deshalb startete die Bundesvereinigung Lebenshilfe eine Kampagne zugunsten einer verbesserten Gesetzesreform. Dies sind einige der Forderungen der Lebenshilfe, die unter anderem auf den Kampagnen-Postkarten der Lebenshilfe aufgeführt sind:

  • „rechtlich Betreute sollen selbst entscheiden können.
  • Stellvertretung ist nur dann zulässig, wenn sie unbedingt erforderlich ist.
  • Beratungs- und Beschwerdestellen für rechtlich Betreute.
  • Angehörige müssen durch Anbindung an einen Betreuungsverein in ihrem Amt unterstützt werden.
  • Betreuungen durch Angehörige müssen die gleichen Qualitätsstandards erfüllen wie andere ehrenamtliche Betreuungen.“

Die Lebenshilfe-Kampagne umfasst eine Webseite, Social Media Posts zum Hashtag #BRR2021 auf  Facebook, Instagram und Twitter, eine Forderungsliste, eine Stellungnahme zum Gesetzentwurf, bestellbare Kampagnen-Postkarten, Fotos und Infos in einfacher Sprache sowie Pressearbeit.

Vorgeschichte und Ziele des neuen Betreuungsrechts

Der neue Gesetzentwurf wurde notwendig, da das alte Betreuungsrecht bereits 28 Jahre alt ist und nicht dem Gebot der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung entspricht im Sinne des Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention von 2006. Ebenso bedarf das Vormundschaftsrecht und die Beteiligungsrechte Minderjähriger gemäß der UN-Kinderrechtskonvention der Modernisierung.

Nach eineinhalb-jähriger interdisziplinärer Diskussion entstand im BMJV im Juni 2020 ein Referentenentwurf zu einem neuen Vormundschafts- und Betreuungsrecht; im September stimmte das Bundeskabinett über den Referentenentwurf für ein neues Vormundschafts- und Betreuungsrecht ab, sodass nun ein erster Gesetzesentwurf vorliegt. Über den Referentenentwurf und die zahlreichen Stellungnahmen hatte die DVfR bereits im August berichtet.

Das neue Vormundschafts- und Betreuungsrecht soll v. a. dafür sorgen, dass Betreuer und Richter sich künftig an den Wünschen der rechtlich Betreuten orientieren und nicht mehr an einem allgemein verstandenen Wohl der Betreuten.

Die Hauptziele der Betreuungsrechtsreform sind:

  • die Selbstbestimmung und Autonomie unterstützungsbedürftiger Menschen zu stärken - im Vorfeld und innerhalb einer rechtlichen Betreuung
  • die Qualität der Betreuung in der Anwendungspraxis zu verbessern
  • und den Erforderlichkeitsgrundsatz besser umzusetzen

Der Erforderlichkeitsgrundsatz bedeutet, dass die Betreuung nicht umfassend ist. Die Bestellung der Betreuerin oder des Betreuers erfolgt nur für Aufgabenbereiche, in denen der oder die Betroffene selbst nicht handeln kann.

Weitere Informationen

Informationen, Referenten- und  Regierungsentwurf sowie Stellungnahmen zum geplanten Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Informationen zur Kampagne der Bundesvereinigung Lebenshilfe BetreuungsRechtsReform – aber richtig! #BRR2021