03.01.2020

Begrenzung der Sichtbarkeit und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Internet

Im Dezember 2019 hat die Plattform netzpolitik.org darüber berichtet, wie das Soziale Netzwerk „TikTok“ die Reichweiten der Videos von Menschen mit Behinderungen systematisch begrenzte. Nach eigenen Angaben hat das chinesische Unternehmen hinter TikTok die Regelungen inzwischen geändert.

TikTok ist ein weltweites Videoportal mit Eigenschaften eines Sozialen Netzwerks wie Facebook oder Twitter, das auch in Europa wächst. Laut Wikipedia gehörte TikTok im Jahr 2018 zu den sich am schnellsten verbreitenden mobilen Apps der Welt. Betrieben wird TikTok von der chinesischen Firma ByteDance. Netzpolitik.org recherchierte, dass noch bis September 2019 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Moderationsrechten angewiesen waren, Videos von Menschen mit Behinderungen zu markieren und in ihrer Reichweite zu begrenzen. Auch queere und übergewichtige Menschen befanden sich auf einer Liste von „Besonderen Nutzer:innen“, deren Videos grundsätzlich als Risiko betrachtet und in der Reichweite gedeckelt wurden. Hashtags wie #lebenmitbehinderung erhielten eine Markierung, damit sie eine bestimmte Zahl von Views nicht überschreiten. ByteDace begründete diese Praxis mit der Absicht, potenzielle Opfer von Mobbing im Internet vor negativen Beiträgen schützen zu wollen. Menschen mit Behinderungen sollten von Moderatorinnen und Moderatoren demnach als „Risk 4“ markiert werden. Das bedeutete, dass ein Video nur noch in dem Land sichtbar war, in dem es auch gepostet wurde. Andere Beiträge erhielten nach 6.000 bis 10.000 Aufrufen automatisch die Markierung „Auto R“ und tauchten in der algorithmisch zusammengestellten Liste, die Nutzerinnen und Nutzer beim Öffnen der App abgespielt bekommen, nicht mehr auf.

Täter statt Opfer beschränken

Ein Reiz jeder sozialen Plattform ist die zumindest theoretisch vorhandene globale Reichweite, die Möglichkeit der Kommunikation mit anderen Usern auf der ganzen Welt. Während Aktivistinnen und Aktivisten mit Behinderungen für ein barrierefreies Internet und Sichtbarkeit eintraten, baute TikTok bewusst Beschränkungen ein, ohne dass die Betroffenen davon wussten.

Die Unsichtbarmachung sei letztlich nicht nur eine vor der Welt, sondern auch eine vor dem Plattformbetreiber, so die Tageszeitung taz. Der spare so jede Menge Ressourcen für zugewandte und empathische Moderation. Manuela Hannen und Christoph Krachten von der Evangelischen Stiftung Hepatha, die derzeit ein inklusives Social-Media-Team aufbaut, sagten gegenüber netzpolitik.org: „Es ist vollkommen absurd, nicht die Trolle zu bestrafen, sondern die Opfer des Cyberbullyings.“ Maßnahmen gegen Cybermobbing müssten auf die Beschränkung der Taten und nicht der Opfer abzielen und zudem für alle Menschen gleichermaßen gelten, kommentierte auch Constantin Grosch von der Organisation AbilityWatch die systematische Beschränkung.

Nicht zuletzt wirkte die Praxis von ByteDance den Zielen des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) entgegen. Art. 30 Abs. 2 bestimmt:

(2) Die Vertragsstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zu geben, ihr kreatives, künstlerisches und intellektuelles Potenzial zu entfalten und zu nutzen, nicht nur für sich selbst, sondern auch zur Bereicherung der Gesellschaft.

Neue Regeln

Vor dem Hintergrund der wachsenden öffentlichen Aufmerksamkeit erklärte eine Sprecherin von ByteDance der Redaktion von netzpolitik.org auf Anfrage, die Moderationsregeln habe man „zu Beginn“ so gewählt, um Mobbing auf TikTok entgegenzuwirken. „Dieser Ansatz war nie als langfristige Lösung gedacht und obwohl wir damit eine gute Absicht verfolgt haben, wurde uns klar, dass es dabei nicht um den richtigen Ansatz handelt.“ Die Regelungen seien inzwischen durch neue, nuancierte Regeln ersetzt worden.

„Zu unseren weiteren konkreten Fragen, wie es zu den Regeln kam, von wann bis wann sie galten und ob für die Entwicklung der neuen Regeln auch Behindertenverbände hinzugezogen werden, wollte TikTok sich nicht äußern“, schreibt netzpolitik.org.

Weitere Informationen

Netzpolitik.org: TikToks Obergrenze für Behinderungen

(Quelle: netzpolitik.org; taz.de)