09.02.2017

Symposium Mobile Rehabilitation „200 Standorte – Aufbruch in die Fläche?“

Rund 40 Experten trafen sich auf Einladung der Bundesarbeitsgemeinschaft Mobile Rehabilitation (BAG MoRe) am 26. Januar 2017 zu einem Symposium zur mobilen Rehabilitation in Berlin beim Sozialverband Deutschland (SoVD). Ausgangspunkt der Diskussion zum Thema „200 Standorte – Aufbruch in die Fläche“ waren neue Ansätze für die mobile Rehabilitation für Pflegebedürftige, insbesondere im Pflegeheim und in der Kurzzeitpflege.

Die Tagung fand in Kooperation mit der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR), der Diakonie Deutschland, dem ISO-Institut Saarbrücken und dem Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften der Universität Halle statt.

Paradigma „Reha vor und bei Pflege“ endlich umsetzen

Bei der Begrüßung forderte Fabian Müller-Zetzsche, Abteilungsleiter Sozialpolitik beim SoVD, das Paradigma „Reha vor und bei Pflege“ endlich umzusetzen. „Gerade pflegebedürftige Menschen – alte wie jüngere – und ihre Angehörigen benötigen aufgrund ihrer schweren Teilhabebeeinträchtigungen flächendeckend ambulante und aufsuchende Rehabilitationsangebote zur Sicherung ihrer Selbstbestimmung und Teilhabe. Deshalb ist der Austausch darüber, wie die bestehenden Hemmnisse bei der Strukturentwicklung mobiler Rehabilitation überwunden werden können, außerordentlich wichtig und der SoVD wird diesen Prozess unterstützen“, so Müller-Zetzsche. Dr. Martin Warnach, Vorstandsmitglied der BAG MoRe, wies in seinen Begrüßungsworten zugleich auch auf weitere Defizite hin: „Nicht nur fehlende ambulante und mobile Reha-Angebote stehen einer bedarfsgerechten Rehabilitation entgegen, auch Probleme beim Zugang schwerbehinderter und pflegebedürftiger Menschen zur Reha und bei der Reha-Bedarfsfeststellung sind zu lösen.“

Entwicklungsschub zum Ausbau der mobilen Reha

In seinem Bericht zum aktuellen Stand des Ausbaus mobiler Rehabilitation stellte Dr. Matthias Schmidt-Ohlemann, Vorsitzender der BAG MoRe und der DVfR, fest, dass trotz verschiedener Modellprojekte, gesetzlichem Auftrag (SGB V § 40 Abs. 1) und konzeptioneller Konkretisierungen wie den Rahmenempfehlungen zur mobilen geriatrischen Rehabilitation (2010) und den GKV-Umsetzungsempfehlungen zur indikationsspezifischen mobilen Reha (2016) ein klarer Trend zum Ausbau mobiler Rehabilitation nicht erkennbar ist. Die vorhandenen 14 Standorte mobiler Rehabilitation bundesweit reichen bei weitem nicht aus, um eine bedarfsdeckende Versorgung sicherzustellen. Als einen Grund für den stagnierenden Ausbau der mobilen Rehabilitation nannte er zu hohe Gewinnerwartungen der Einrichtungsträger.

Der GKV-Spitzenverband und die Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene haben im April 2016 die "Eckpunkte für die mobile indikationsspezifische Rehabilitation" verabschiedet. Diese Empfehlungen für die Krankenkassen zur besseren Umsetzung des Anspruchs auf mobile Rehabilitationsmaßnahmen enthalten die sozialmedizinischen Definitionen, bei denen mobile Rehabilitationsmaßnahmen in Betracht kommen, und die Anforderungen an die Leistungserbringer, die diese Maßnahmen anbieten möchten. Damit wird deutlich, dass für Bedarfsgruppen über den geriatrischen Personenkreis hinaus mobile Rehabilitation die geeignete Leistungsform sein kann. Mit der Veröffentlichung der Eckpunkte fördert der GKV-Spitzenverband den strukturellen Ausbau der MoRe durch klare und erleichterte Zulassungsbedingungen im Sinne einer Anschubphase bis 2021.

Mobile Reha fördert die Teilhabe pflegebedürftiger Menschen

Das Leistungsangebot MoRe ist gerade für pflegebedürftige Menschen von großer Bedeutung, da es nachweislich zum selbstständigen Wohnen zu Hause beitragen, Heimeinweisungen vermeiden und die Lebensqualität erhöhen kann. Um zu verdeutlichen, welche Teilhabeziele für pflegebedürftige Menschen relevant sein können, stellte Dr. Schmidt-Ohlemann Teilhabesicherungskonzepte für Bewohner von Altenpflegeheimen vor. Geeignet sei MoRe auch in der Kurzzeitpflege, um die Rückkehr nach Hause zu unterstützen und dort Teilhabepotentiale zu entwickeln.

200 MoRe-Einrichtungen zur Deckung des Reha-Bedarfs erforderlich

Nach einer Schätzung von Dr. Schmidt-Ohlemann seien etwa 200 MoRe-Einrichtungen erforderlich, um den Reha-Bedarf bisher unterversorgter Personen in Deutschland zu decken. Mit Blick auf die deutlichen Vorteile für die Teilhabe und Lebensqualität der betroffenen Menschen appellierte er an die Innovationskraft von Trägern und an den Gestaltungswillen der Politik, den Ausbau mobiler Rehabilitation stärker zu unterstützen. Als gutes Beispiel nannte er die Anschubförderung der Bayerischen Landesregierung für neue MoRe-Einrichtungen.

Um den Ausbau der MoRe in Gang zu bringen, sind laut Dr. Schmidt-Ohlemann Finanzierungsformen, die den Koordinierungs- und Beratungsaufwand der MoRe besser abbilden, ebenso erforderlich wie die Einbettung von MoRe in Versorgungsverbünde. Wirkungen für die Betroffenen und Auswirkungen auf andere Versorgungsbereiche (Krankenhaus, Pflegeheim, ambulante medizinische Versorgung und Pflege) müssen evaluiert werden. Geriatrische Reha-Einrichtungen, stationäre und ambulante Reha-Zentren, Einrichtungen der Behindertenhilfe oder Pflegeeinrichtungen kommen als MoRe-Gründer in Betracht. Unter dem Paradigma Ambulantisierung und Dezentralisierung wären Initiativen von Heimträgern und Kommunen zum Aufbau mobiler Reha-Angebote wünschenswert (s. Dr. Schmidt-Ohlemann).

Mobile Reha für Heimbewohner

Wie viele Bewohner von Pflegeeinrichtungen einen Reha-Bedarf haben und wie sie von MoRe profitieren können, werde gegenwärtig durch Wissenschaftler der Hochschule Bremen im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) erforscht, berichteten Prof. Dr. Heinz Janßen und Leonore Köhler von der Hochschule Bremen. Erste Ergebnisse weisen auf einen hohen Reha-Bedarf für Heimbewohner, vorwiegend an mobiler Rehabilitation, hin. Zugleich können Erfolge der Teilhabeförderung für Heimbewohner messbar nachgewiesen werden (s. Beitrag Prof. Dr. Janßen / Köhler).

Über Entwicklungen der Reha-Empfehlungen im Rahmen der Pflegebegutachtung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) informierte Katrin Breuninger vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS). Die Begutachtungsstandards wurden seit 2015 optimiert und die Umsetzung der Standards führte zu einem kontinuierlichen Anstieg der Reha-Empfehlungen bei der Pflege-Begutachtung. Trotz der positiven Bilanz verwies Breuninger darauf, dass der Rehabedarf viel früher in der Versorgungskette festgestellt werden müsste, um Pflege vermeiden und den Pflegebedarf vermindern zu können (s. Beitrag Breuninger).

Angebote zur Teilhabeförderung direkter nutzbar machen

Ulrich Kuhn vom Netzwerk „Soziales neu gestalten“ (SONG) der Stiftung Liebenau berichtete über innovative Ansätze, soziale Angebote im Sozialraum mit Unterstützung vieler Partner bedarfsgerecht zu organisieren. Die geschaffenen und bewährten Netzwerkstrukturen bieten beste Voraussetzungen, um auch Rehabilitation zu integrieren und damit medizinische Angebote zur Teilhabeförderung direkter nutzbar zu machen (s. Beitrag Kuhn).

Am Beispiel der Bremer Heimstiftung, die über 3.000 pflegebedürftige Menschen betreut, erläuterte Günter Ralle-Sander, wie im Bereich der Altenpflege ein systematischer Zugang zur Rehabilitation ermöglicht wird. Mobile geriatrische Rehabilitation habe sich – gerade im Zuge der Dezentralisierung der Pflege – als Versorgungsbaustein bewährt. Bei etwa 10-20% der betreuten Menschen könne ein Reha-Bedarf festgestellt werden. Mit einem Hinweis auf den Pflegereport 2030 der Bertelsmann-Stiftung, in dem das Fehlen von rund 500.000 Pflegefachkräften bis 2030 bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen um 50 Prozent prognostiziert wird, mahnte Ralle-Sander den Ausbau von Reha-Angeboten für Pflegebedürftige an: „Teilhabeförderung durch Rehabilitation für pflegebedürftige Menschen kann auch dazu beitragen, die sich spürbar verschlechternde Pflegekräftesituation abzumildern. Insbesondere MoRe unterstützt die Angehörigen und Pflegenden nachhaltig“ (s. Beitrag Ralle-Sander).

Potential der Kurzzeitpflege noch nicht ausgeschöpft

Ergebnisse einer vom BMG beauftragten wissenschaftlichen Studie des IGES-Instituts stellte Dr. Bernd Deckenbach vor. Demnach sei es im Rahmen der Kurzzeitpflege sehr gut möglich, eine Weichenstellung in Bezug auf die künftige Versorgung vorzunehmen. Insbesondere könne durch Einbindung von Rehabilitation in die Kurzzeitpflege die vorschnelle Zuweisung zur Langzeitpflege vermieden werden. Das Potential der Kurzzeitpflege im Hinblick auf Ausstattung, inhaltliche Gestaltung und Vernetzung mit ambulanten Versorgungsstrukturen (Arzt, Pflege, MoRe u.a.) sei noch nicht ausgeschöpft (s. Beitrag Dr. Deckenbach).

Perspektiven für die weitere Arbeit – aus der Podiumsdiskussion

In der anschließenden Podiumsdiskussion wurden Aspekte der Ausgestaltung der Kurzzeitpflege vertieft. Teilnehmer der Podiumsdiskussion waren: Dr. Martin Warnach (Evangelisches Johannesstift Berlin), Carola Schweizer (ISO-Institut Saarbrücken) – beide Moderation –, K.-Dieter Voß (SoVD), Dr. Rudolf Siegert (Zentrum für Geriatrie/MoRe Bremen), Magnus Kuhn (BMG), Fritz Schösser (AOK BV-Verwaltungsrat), Dr. Bernd Deckenbach (IGES) und Katrin Breuninger (MDS).

Das Konzept der Kurzzeitpflege (SGB V) müsse die Funktion als Weichensteller für die weitere Versorgung für Menschen in Krisensituationen beinhalten, so Magnus Kuhn. Das Ziel der Kurzzeitpflege sei die Entlassung in stabile häusliche Bedingungen; dafür müssten jetzt geeignete Modelle und Finanzierungskonzepte für die damit verbundenen personellen Aufwendungen während des Heimaufenthaltes entwickelt werden, die der Vorbereitung des Lebens in der eigenen Häuslichkeit dienen.

K.-Dieter Voß forderte angesichts der deutlichen Mängel bei der bedarfsgerechten Rehabilitation für Pflegebedürftige, die entwickelten zielführenden Ansätze nun zügig umzusetzen. Für den erforderlichen strukturellen Ausbau sollten die Kassen ihre Gestaltungsspielräume nutzen. In der Kurzzeitpflege müssten Rehaziele, -potential und -fähigkeiten festgestellt und der Zugang zur Reha organisiert werden. Dadurch könne die vorschnelle und oft unumkehrbare Zuweisung in die stationäre Langzeitpflege unterbunden werden.

Mobile Rehabilitation ist nach Ansicht von Dr. Warnach und Dr. Siegert für pflegebedürftige Menschen eine besonders geeignete Leistungsform, weil sie bei der Leistungsausführung die Ressourcen der Betroffenen in ihrer Lebenswelt in den Blick nimmt und sie gezielt fördert. Auch unterstütze sie die Angehörigen darin, die Pflege kompetent zu übernehmen und diese auch längere Zeit leisten zu können. Erhebliche Optimierungsreserven bei der Kurzzeitpflege lägen in der Vernetzung mit der mobilen Rehabilitation. Gegenwärtig komme das Potential einer guten Kurzzeitpflege nicht zum Tragen, weil die Reha-Kapazitäten für Pflegebedürftige, insbesondere auch die der mobilen Rehabilitation, nicht ausreichen.

Rehabilitativ ausgerichtete Kurzzeitpflege könne Defizite beim Krankenhaus-Entlassmanagement (insbesondere bei der Überleitung in die Rehabilitation sowie in die ambulante Pflege) ausgleichen, betonte Fritz Schösser. Ein wesentliches Erfolgskriterium der Kurzzeitpflege sieht er in der Verbindung mit einem Fallmanagement, welches die Betroffenen bei der Entscheidungsfindung berät und bei der Organisation der Unterstützungsleistungen begleitet. Ein im Krankenhaus oder bei der Krankenkasse angesiedeltes Fallmanagement funktioniere in der Regel nicht oder nicht ausreichend im Hinblick auf den Zugang zu ambulanten Versorgungsstrukturen. Dr. Deckenbach bekräftigte dies mit dem Hinweis, dass Kurzzeitpflege auf Patienten in Krisensituationen fokussiert sei, für die ein Fallmanagement unentbehrlich ist.

Zur Fragen der strukturellen Anbindung der Kurzzeitpflege (in Pflegeheimen oder Akutkliniken) gab es unterschiedliche Vorstellungen. Diese müssen mit Blick auf die Ausstattungsbedarfe (z. B. Fachpersonal für medizinische Behandlungspflege) und auf die Vernetzung mit ambulanten Versorgungsstrukturen (ärztliche Versorgung, mobile Rehabilitation, Heilmittelerbringung, Hilfsmittel) weiter erörtert werden.

Ergebnisse des Symposiums – Was ist zu tun?

  • Angebote mobiler Rehabilitation sind bundesweit flächendeckend auszubauen, insbesondere auch für pflegebedürftige Menschen in Pflegeheimen oder in der ambulanten Pflege.
  • Die mobile Rehabilitation ist gerade in Verbindung mit der Kurzzeitpflege auszubauen und mit dieser stabil zu vernetzen.
  • Angebote der Kurzzeitpflege sind in ihrer rehabilitativen Funktion (Weichensteller für die ambulante Versorgung) zu verbessern und weiter auszubauen; der Zugang zur Kurzzeitpflege sollte erleichtert werden.
  • Der Zugang zur Rehabilitation für pflegebedürftige Menschen ist zu verbessern.
  • Die Rolle der Pflegekräfte beim Erkennen des Reha-Bedarfs ist zu stärken.
  • Erforderlich sind Impulse von Trägern, Kommunen, Ländern und der Politik zum Ausbau der Kurzzeitpflege und der Mobilen Rehabilitation als sozialraumorientierte Angebote.

Präsentationen der Referenten:

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