21.08.2017

EU vollzieht nächsten Schritt zur Beseitigung von Barrieren im Urheberrecht

Der Europäische Rat hat am 17. Juli 2017 den sog. Vertrag von Marrakesch verabschiedet. Dieser enthält urheberrechtliche Regelungen zu Gunsten blinder, seh- und anderweitig lesebehinderter Menschen. Die Bundesbehindertenbeauftragte Verena Bentele fordert die zügige Umsetzung der neuen Regelungen in nationales Recht.

Der Vertrag von Marrakesch über die Erleichterung des Zugangs zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Menschen (kurz: Vertrag von Marrakesch) ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der in Deutschland im Bereich des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG, oder auch Urheberrecht genannt) zu verorten ist. Hauptgegenstand des Vertrages ist es, Barrieren der nationalen Gesetzgebung im Urheberrecht zu Gunsten blinder, sehbehinderter oder sonst lesebehinderter Menschen zu überwinden und einen grenzüberschreitenden Austausch von Werkexemplaren zwischen den Vertragsstaaten zu ermöglichen (Art. 5). Die vertragsunterzeichnenden Staaten verpflichten sich deshalb dazu, die nationale Gesetzgebung mit notwendigen Maßnahmen anzupassen (Art. 10).

„Unter Hinweis auf die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, Chancengleichheit, Zugänglichkeit und der vollen und wirksamen Teilhabe an und Einbeziehung in der Gesellschaft, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen niedergelegt sind“ wie es in der Präambel des Vertrags steht, sehen die Vertragsstaaten wichtigen Handlungsbedarf: In Deutschland etwa sind maximal fünf Prozent aller verlegten Werke der Literatur, Kunst und Wissenschaft für Menschen mit Lese- und Sehbehinderungen barrierefrei zugänglich. In vielen anderen Ländern reicht die Prozentzahl noch weiter gegen Null. Das Deutsche Institut für Menschenrechte sieht die Ursache dieses „weltweiten Missstands in nationalen Regelungen und fehlenden Ideen, wie die internationale Verbreitung von Büchern für Menschen mit Seh- und Lesebehinderungen funktionieren kann“, begründet. „So verhindern etwa die Regelungen im deutschen Urheberrecht und vergleichbare Regelungen in anderen Ländern die Produktion und Verbreitung von Werken in barrierefreien Formaten. Eine praktische Hürde sind außerdem die geringen Gewinnaussichten für die Verlage bei der Produktion für kleinste Abnehmerkreise“, so die Einschätzung des Institutes.

Am 20. Mai 2017 erzielte der maltesische Minister für Wirtschaft, Investitionen und Kleinunternehmen und Ratsvorsitz des Europäischen Parlaments, Dr. Christian Cardona, eine Einigung über die Umsetzung der Rechtsvorschriften mit dem Europäischen Parlament.

Nachdem der Europäische Rat im Juli 2017 dem Vertrag zugestimmt hat, stehen keine Hürden mehr im Weg: Die Europäische Union kann den Vertrag nun ratifizieren. Danach haben die Mitgliedsstaaten der EU 12 Monate Zeit, die Bestimmungen des Vertrages in nationales Recht umzusetzen. Dazu sagte Bentele, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen: „Ich begrüße diesen Schritt auf dem Weg zur Umsetzung des Vertrages von Marrakesch. Jetzt kommt es darauf an, dass das Urheberrecht in Deutschland zügig geändert wird und blinde, seh- sowie anderweitig lesebehinderte Menschen deutliche Verbesserungen beim Zugang zu Literatur erfahren.“

Im deutschen Urheberrechtsgesetz existierenden bereits Regelung zu Gunsten von Menschen mit Behinderungen (§ 45a des Urheberrechtsgesetzes). Sie umfassen einerseits eine Ausnahmeregelung zur Vervielfältigung eines Werkes und andererseits eine angemessene Vergütung des Urhebers, vorausgesetzt die Vervielfältigung des Werkes ist nicht auf einzelne Vervielfältigungen begrenzt. Bentele setzt sich dafür ein, „dass die in § 45a Abs. 2 UrhG vorgesehene Vergütung entfällt und Menschen mit Behinderungen einen besseren Zugang zu Literatur erhalten."

Der Vertrag von Marrakesch wurde im Juni 2013 auf einer diplomatischen Konferenz in Marrakesch verabschiedet und von EU bereits im April 2014 unterzeichnet. Die Ratifizierung verzögerte sich jedoch. Grund dafür war die rechtliche Frage der ausschließlichen Zuständigkeit der EU. Der Europäische Gerichtshof, der um ein Gutachten gebeten wurde, bestätigte am 14. Februar 2017 die ausschließliche Zuständigkeit der Union.

Nachdem der Vertrag die festgelegte Anzahl von mindestens zwanzig Ratifizierungen erreicht hatte, trat er am 30. September 2016 in Kraft.

Weitere Informationen

Ein völkerrechtlicher Vertrag ist ein bi- oder multilateral getroffenes, vertraglich geregeltes Abkommen zwischen Staaten. Ein völkerrechtlicher Vertrag bindet die Staaten, die den Vertrag unterzeichnet und ratifiziert haben an die Vertragsinhalte. Für Nicht-Mitgliedstaaten des Vertrages sind Vertragsinhalte nicht bindend. Ausnahmen werden in der Wissenschaft teilweise aus dem sogenannten Völkergewohnheitsrecht abgeleitet, nach dem einige Rechtsgrundsätze allgemeingültig seien.

Ein Werkexemplar in einer zugänglichen Form ist ein in einer speziellen Form präsentiertes Exemplar eines Werks, das den Begünstigten Zugang zum Werk bietet, insbesondere einen ebenso leichten und freien Zugang wie nicht sehbehinderten oder sonst lesebehinderten Menschen.

Quellen:

Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, Verena Bentele, Pressemitteilung vom 17. Juli 2017, Europäischer Rat beschließt Regelungen für besseren Zugang blinder und sehbehinderter Menschen zu Büchern und Zeitschriften

Gerichtshof der Europäischen Union, Der Vertrag von Marrakesch über den Zugang zu veröffentlichten Werken für Sehbehinderte kann von der Union allein abgeschlossen werden, Pressemitteilung Nr. 13/17, 14. Februar 2017

Monitoring Stelle UN-BRK: Vertrag von Marrakesch

Urheberrechtsgesetz (Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, UrhG) § 45a, Abs. 1, 2.

World Intellectual Property Organization (WIPO- Weltorganisation für geistiges Eigentum): Marrakesh Treaty to Facilitate Access to Published Works for Persons Who Are Blind, Visually Impaired or Otherwise Print Disabled