16.03.2018

Entscheidung zur Grundsicherung bei Erwerbsminderung im Berufsbildungsbereich einer WfbM

Eine volle und dauerhafte Erwerbsminderung kann bei Beschäftigten einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) bereits im Berufsbildungsbereich unterstellt werden, befand das Sozialgericht (SG) Augsburg in seinem Urteil vom 16. Februar 2018 und verpflichtete den Leistungsträger in dem konkreten Fall zur Gewährung von Grundsicherung bei Erwerbsminderung.

Menschen mit Behinderungen haben einen Anspruch auf Grundsicherung, wenn sie das 18. Lebensjahr vollendet haben und voll erwerbsgemindert sind. Die Prüfung, ob eine dauerhafte volle Erwerbsminderung vorliegt, darf der Leistungsträger gemäß § 45 Satz 3 Nr. 3 SGB XII bei Menschen mit Behinderungen, die den Eingangs- oder Berufsbildungsbereich einer WfbM durchlaufen oder im Arbeitsbereich beschäftigt sind, nicht vornehmen. Diese Bestimmung ist am 1. Juli 2017 in Kraft getreten. Umstritten ist, welche Rechtsfolge sich aus dieser Vorschrift ergibt.

Nun liegt ein erstes Urteil vor. Das SG Augsburg hat die in diesem Fall Beklagte verpflichtet, die Grundsicherung einer Beschäftigten mit Behinderungen im Berufsbildungsbereich einer WfbM zu bewilligen. Zur Begründung: Bei Menschen mit Behinderungen, die den Eingangs- oder Berufsbildungsbereich einer WfbM durchlaufen, könne eine volle Erwerbsminderung unterstellt werden (S 8 SO 143/17).

Damit widerspricht das Sozialgericht der Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), wonach im Eingangs- und Berufsbildungsbereich über die dauerhafte und volle Erwerbsminderung noch nicht entschieden werden könne: „Hingegen gelten Menschen mit Behinderungen, die das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich einer WfbM durchlaufen, als nicht dauerhaft voll erwerbsgemindert. Das liegt daran, dass dieser Bereich einer WfbM als ergebnisoffener Prozess angelegt ist. (…) Aufgrund der nur befristeten vollen Erwerbsminderung sind Personen im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich einer WfbM dem Grunde nach dem Dritten Kapitel des SGB XII, also der Hilfe zum Lebensunterhalt, zuzuordnen.“[1]

In dem konkreten Fall hatte auch die Beklagte den entsprechenden Antrag auf Grundsicherung mit der Begründung abgelehnt, es liege bei diesem Personenkreis keine dauerhafte volle Erwerbsminderung vor.

Das SG Augsburg unterstützt mit seiner Entscheidung die Auffassung, dass aus dem Wortlaut und der Systematik der Regelung bei Personen im Eingangs- bzw. Berufsbildungsbereich ebenso wie im Arbeitsbereich der WfbM vom Vorliegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung auszugehen ist und sich deshalb eine Prüfung dieser Anspruchsvoraussetzung durch den Rentenversicherungsträger erübrigt.

Auf dem Prüfstand

Das BMAS spricht sich dafür aus, auf die Differenzierung zwischen einer dauerhaften und einer zeitlich befristeten Erwerbsminderung zu verzichten. Dies erfordere jedoch eine Verständigung auf politischer Ebene mit der Folge einer Rechtsänderung.

In den Koalitionsvertrag wurde daher ein Prüfauftrag aufgenommen: „Die unterschiedliche Gewährung existenzsichernder Leistungen bei Menschen mit befristeter und dauerhafter Erwerbsminderung werden wir prüfen“ (S. 95, 4. Absatz).

Zum Urteil auf der Webseite www.gesetze-bayern.de

(Quelle: Bayerische Staatskanzlei; Bundesministerium für Arbeit und Soziales)


[1] BMAS: Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, abrufbar unter: http://www.bmas.de/DE/Themen/Soziale-Sicherung/Sozialhilfe/grundsicherung-im-alter-und-bei-erwerbsminderung.html#a1, zuletzt abgerufen am: 15.03.2018.

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